Etappe 2021/07 [0265]
Caccamo - Palermo ( - Neapel)
62 km    
1050 Hm (garmin edge 1000)

 

 

Mit dem Fahrrad von Catania über Palermo und Neapel nach Rimini. Radtour durch Italien.
 
 
Mit
Wir verlassen Caccamo auf der SS285 nach Norden und nach nur 3 km Fahrstrecke taucht das erste Problem des Tages auf: westlich von uns liegt der Lago Roasamarina, ein Stausee mit einer der Öffentlichkeit zugänglichen befahrbaren Staumauer. Da Frank ein gewisses technisches Interesse an Stauwerken jeglicher Bauart hat, biegen wir links ab und fahren runter zum Staudamm, der auf italienisch "Diga di Roasamarina" heißt - was für mich eher nach krassem Gangster-Rap klingt, und krass sollte es auch werden. Die historische Sehenswürdigkeit, die der aufgestaute Fluss San Leonardo einstmal zu bieten hatte, ist für uns nicht sichtbar: die 1307 vom damaliger Herrscher Caccamos errichtete Gewölbebrücke Ponte Chiaramontano, die in einem spitzen Boden über den Fluss führte, liegt heute unter dem Wasserspiegel des Flusses verborgen und niemand weiß genau, ob das antike Bauwerk noch in Takt ist oder mittlerweile zerfallen ist.      
 
Mit
Die Staumauer hat eine Hohe von 93m, der See ein Fassungsvermögen von 100 hm3 und gehört damit zu den größten Stauseen Siziliens. Die Plangen für den Stausee begannen in den 1950er Jahren, man stellte sich eine gekrümmte Staumauer vor, die den Fluss San Leonardo an einer Schlucht aufstaut. Das ursprüngliche Design von 1956 wurde aufgrund geologischer Gutachten etwa 25m flussaufwärts verschoben, da der Fels hier tragfähiger erschien. Die Idee einer Hochwasserentlastung durch einen Tunnel im Felsen wurde ebenfalls verworfen. Die Arbeiten am endgültigen Entwurf wurden 1978 gestartet, aufgrund von finanziellen Problemen aber immer wieder verzögert, so wurde der Bau der Staumauer 1982 auf halber Höhe unterbrochen und erst 1987 weiterbetoniert. Während der Planungsphase fanden statische und dynamische (das Bauwerk befindet sich in einem seismisch aktiven Gebiet) Berechnungen unter Verwendung der Methode der finiten Elemente statt, wobei 1576 Volumenelemente mit 2132 Knoten verwendet wurden. Aus heutiger Sicht erscheinen die Rechenmodelle sehr klein, aber ein Ingenieur der alten Schule wir die Ergebnisse einzuschätzen gewusst haben. Seit 1987 ist die antike Brücke Ponte Chiaramontano im Wasser versunken, das Stauziel wurde 1991 erreicht. 
 
Mit
Wir fahren über die Staumauer und durch den Tunnel, der während der Bauphase für die Zugänglichkeit der Stauanlage aus westlicher Richtung errichtet wurde. Nun interessieren mich die geologischen Besonderheiten des Gesteins rund um meine Fahrstrecke eher weniger, aber der westliche Hang stellte beim Bau des Stauwerks eine große Herausforderung dar: aufgrund des steilen Geländes musste der Hang aufwändig gesichert werden, um keine Gefahr für die Baumaßnahmen in der Talsohle darzustellen. Und diesen Hang müssen wir jetzt kurz hinter dem Tunnel hochfahren: Die Tunnelausfahrt liegt auf einer Höhe unterhalb von 200m, wenig später knickt der Schotterweg rechtwinkelig nach rechts ab und steigt auf weniger als einem Kilometer um 180 Höhenmeter an. Das ist stellt nur die Ingenieure von damals vor Herausforderungen.    
 
Mit
Oben stoßen wir dann auf die Strada Provinciale SP6, auf der wir mit handelsüblichen Steigungen nach Ventimiglia di Sicilia fahren. Der höchste Punkt ist bei einer Höhe von 650m erreicht, danach rollen wir von zwei Anstiegen abgesehen nur noch bergab, da der Hafen von Palermo praktischerweise auf Meereshöhe liegt.     
 
Mit
Unterwegs treffen wir auf eine Schafherde, die zu unserer Überraschung alleine von einem Schäferhund zu einer anderen Weidefläche geführt werden. Als wir uns der Herde nähern, nimmt der Hund die Position außen an der Herde ein und drängt die Schafe an die von ihm aus rechte Leitplanke. Wir beobachten die Gruppe noch einige Minuten und stellen Fest, dass die Herde tatsächlich nur von dem Hund geleitet wird. Als die Truppe irgendwann von der Straße abbiegt und eine Wiese betritt, fahren wir weiter. Ein Hirte ist weit und breit nicht zu sehen, aber warum auch: der Schäferhund hatte die Angelegenheit voll im Griff.  
 
Mit
Nachdem die letzen Anstiege geschafft sind, fahren wir bergab nach Palermo. Die fünftgrößte Stadt Italiens ist schon von weitem sichtbar, wir rollen über die Sp37 über Gibilrossa in die Stadt. Diese Route fordert uns zwar einige zusätzliche Höhenmeter ab, führt aber nur wenig Verkehr. Reiseführer schreiben gerne, dass die Stadt Palermo von einem Gebirge umgeben ist. Ja, das stimmt.   
 
Mit
Nach mehreren Tagen im Gebirge kommt uns Palermo zunächst unglaublich laut vor. Der Hafen von Palermo ist einer der größten des Landes, seine Lage mitten in der Stadt war früher sicherlich von Vorteil, scheint heute verkehrstechnisch jedoch eher suboptimal, da sich alle Fahrzeuge über eine mehrspurige Straße durch die Stadt quälen müssen. Auch die schweren Lkw. Da wir die Nacht auf der Fähre nach Neapel verbringen werden, fahren wir zunächst zu den Kaianlagen, um herauszufinden wann wir uns wo einzufinden haben. Danach suchen wir uns ein Cafe in Hafennähe und vertreiben uns die Zeit, bis wir wieder zum Hafen fahren. Neben Ticketkontrolle und Ausweiskontrolle gibt es auch hier zusätzlich noch eine Impfkontrolle, was den Ablauf verkompliziert. Schließlich dürfen wir durch die Heckklappe in die Fähre fahren, die Räder werden in einem separaten Raum abgestellt.         
 
Mit
Am frühen Abend lassen wir uns im Restaurant der MS Raffaele Rubattino nieder. Die hohe Kochkultur Italiens ermöglicht es, dass man nicht nur Pommes aus einem Schnellrestaurant bekommen kann, sondern auch die Möglichkeit hat, in einem richtigen Restaurant gepflegt zu essen, was wir dann auch nutzen. Der Bau der MS Raffaele Rubattino wurde Ende der 90 Jahr zusammen mit dem ihres Schwesterschiffs MS Florio bei der Ferrari Werft in La Spezia begonnen, die Schiffe wurden für die frachtintensive Strecke Neapel - Palermo entwickelt und werden auch ausschließlich dort eingesetzt. Aufgrund des Konkurses der Werft wurden die beiden Schiffe dann bei anderen Werften fertiggestellt. An dieser Stelle der eindringliche Rat an alle Schiffspassagiere: niemals vor der Fahrt die Schiffe googeln. Niemals, denn da kommt selten etwas beruhigendes bei rum. In unserem Fall sehen die Fakten wie folgt aus: das baugleiche Schwesterschiff MS Florio ist gleich bei der Überführungsfahrt mit einem anderen Schiff kollidiert, zwei Jahre darauf bei der Abfahrt in Neapel gegen ein benachbarten Schiff gestoßen, was einen 14m langen Riss unter der Wasseroberfläche zu Folge hatte. Später dann gab es zwei Brände auf dem Schiff, die nur mit mehreren hundert Tonnen Seewasser gelöscht werden konnten, was dann zu einer Schräglage des Schiffes geführt hat, einmal mit anschließender Evakuierung. Erst vor wenigen Wochen sind die Ansprüche der Geschädigten verjährt, eine Entschädigung werden sie wohl nie bekommen. Unserem Schiff, der MS Raffaele Rubattino, ist es vergleichsweise besser ergangen: 2001 heftig gegen einen Pier in Neapel gestoßen, 2011 mit Ausfall des Antriebs längere Zeit steuerlos durch Meer getrieben. Sonst sind keine Unfälle bekannt. Aber es ist beruhigend zu wissen, dass dies Schiffe offensichtlich mehrere Brände aushalten ohne zu sinken. Noch beruhigender ist allerdings ein Glas Prosecco.